Freiwillig an den Bodensee kamen sie nicht – die »Höri-Künstler«. In den 1930er- und 40er-Jahren suchten zahlreiche Maler, Zeichner und Bildhauer in der Abgeschiedenheit der Halbinsel Höri Zuflucht vor politischem Druck und Krieg. Eine Künstlerkolonie aber bildeten sie nicht. »Man soll ja kein Worpswede aus der Gegend machen…«, schrieb Ferdinand Macketanz. Tatsächlich einte die Künstler, deren Namen sich wie ein Who is Who der klassischen Moderne liest, weder Stil noch Herkunft – und doch verhalfen sie nach 1945 der Moderne zum Durchbruch, bewirkten den Aufschwung des westlichen Bodenseeraums zur Kunstregion und prägen mit ihren Landschaftsbildern bis heute »das Bild« vom Hegau und westlichen Bodensee.
Was die Künstler in der »inneren Emigration« eint und trennt: das zeigt die Ausstellung mit rund 60 Werken aus der Sammlung des Kunstmuseums Singen – darunter viele Neuzugänge. Zu sehen sind Werke von Otto Dix, Erich Heckel, Max Ackermann, Curth Georg Becker, Ilse Schmitz, Hans Kindermann, Helmuth Macke, Ferdinand Macketanz, Jean Paul, Rudolf Stuckert, Rose Marie Schnorrenberg - ergänzt um die Sonderschau »Walter Herzger und Gertraud Herzger-von Harlessem. Die Kunst des Einfachen.«. Werke befreundeter Künstler, die am Bodensee auf Zeit Zuflucht fanden, wie Julius Bissier, Ludwig Gabriel Schrieber, Franz Lenk, William Straube u.a. mehr, kommen hinzu. Büsten und Portraits ihrer Sammler und Unterstützer runden die Ausstellung ab.
Das Ehepaar Walter Herzger (1901-1985) und Gertraud Herzger-von Harlessem (1908-1989) zählt zum inneren Kreis der »Höri-Künstler«, die seit den 1940er-Jahren auf der Bodenseehalbinsel Höri lebten und nach dem Krieg nicht verzogen. Während Walter Herzger ein umfangreiches Oeuvre hinterließ, ausstellte und eine Professur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe innehatte, ist das schmale Werk von Gertraud Herzger-von Harlessem, die öffentlich unsichtbar blieb, wenig bekannt. Beider Leben und Werk sind eng mit den politischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts, aber auch mit Kunstzentren wie Berlin, Halle, Dresden oder Karlsruhe verbunden. Ihre Kunst ist zugleich eine Feier einfacher Themen, ausbalancierter Formen und der Beobachtung kleiner, alltäglicher Ereignisse.
Die Ausstellung im Kunstmuseum Singen zeigt rund 70 Arbeiten – Gemälde, Aquarelle, Pastelle, Handzeichnungen und Druckgrafiken aus den 1930er- bis in die 1970/80er-Jahre –, bereichert durch eine großzügige Schenkung von Sabine Verdet-Herzger, der Tochter des Künstlerpaares.
Véronique Verdet (*1967 in Cannes), die Enkelin des Ehepaares Herzger, kennt die Höri gut und arbeitet als freie Künstlerin in Saarbrücken. Véronique Verdet ist mit Zeichnungen und Installationen hervorgetreten, die sie selbst als eine fiktive gesellschaftliche Kartografie beschreibt. In ihren Arbeiten thematisiert die Deutsch-Französin auf einfühlsame Weise kollektive Wanderungsbewegungen, Ambivalenzen, das Verhältnis von Menge und Individuum, Räume und Orte, Grenzen und Abgrenzungen, Zugehörigkeit und Isolation.
Eigens für den Projektraum des Kunstmuseums Singen, inmitten in der Ausstellung ihrer Großeltern, hat Véronique Verdet eine neue filigrane, dabei großformatige Cluster-Zeichnung aus ihrer Serie »Fouloscopie« realisiert, die sie mit weiteren Zeichnungen und Miniaturfiguren in Kästen kombiniert.
Mit »Krieg und Frieden«, dem einzig erhaltenen Wandbild von Otto Dix, das mit seinen Maßen von 5 auf 12 Metern zu den monumentalsten Werken gehört, die der Künstler geschaffen hat, ist Singen am Hohentwiel unter den baden-württembergischen Otto-Dix-Städten ein besonderes Reiseziel. Auch 2025 ist das Wandbild während der baden-württembergischen Pfinstferien und der bundesweiten Sommerferien an den Wochenenden, jeweils samstags und sonntags in der Zeit von 11 bis 17 Uhr, für Besucherinnen und Besucher geöffnet.
Markus Weggenmann (*1953) ist Maler durch und durch. Seine Bilder, ausgeführt mit hochpigmentierten Leimfarben, sind außergewöhnliche Interaktionen zwischen stark reduzierten Formen einerseits und homogen flächigen Farben andererseits. Das Spektrum reicht von lichtaufsaugenden bis hin zu emittierenden Farben. Bekannt wurde er in den 1990er-Jahren mit seinen vibrierenden Streifenbildern, die damals schon im Kunstmuseum Singen zu sehen waren.
2025 zeigt das Kunstmuseum Singen erneut eine Werkschau des deutsch-schweizerischen Künstlers, der auch in Singens öffentlichem Raum präsent ist. Die aktuelle Serie »LW« erinnert an weite Landschaftsformationen und Gebirgspanoramen. Noch im Moment des Erfassens kippen diese Formen um in reine, autonome, klar konturierte Farbflächen, die durchsetzt sind mit weißen Energiefeldern. Weggenmann schafft damit irritierende, schwebende Bildräume, die uns zugleich hineinziehen in eine große Ruhe. Manch einen Kritiker gemahnen sie an Werke der deutschen Romantik.